Merci La Chaux-de-Fonds, I love you!

Letzten Samstag war ich, seitdem ich von La Chaux-de-Fonds im Februar 2024 nach Bern gezogen bin, das erste Mal wieder bei Euch in der Höhe.

Anlass war die Brocante von Nathalie der materiotek-mercerie. Einen Tag zuvor erinnerte mich ein Besuch auf Insta daran. Also nahm ich am Samstagvormittag entschlossen und ohne jemandem Bescheid zu geben, den Zug.

Es war für mich wirklich eine emotionale Reise in die Vergangenheit. – Wen werde ich wohl heute treffen? Wie werden die Leute auf mich nach so langer Zeit reagieren? Muss ich mich erklären? Was werde ich von mir erzählen? Werde ich mich fremd fühlen? Oh mein Gott.

Ich schrieb noch spontan eine Nachricht an meinen ehemaligen Vermieter J.-Claude, ich sei heute in CDF. Er verabredete sich mit mir, ich solle doch einfach zum Apéro am Abend dazuzustossen, auf der Terrasse vom Café ABC. – Klar, wo auch sonst, logisch.

Soweit.

Dann – das Hier und Jetzt, in dem ich empfangen werde: Die Temperatur ist schon mal – im Gegensatz zu hier «unten» – wunderbar angenehm als ich aus dem Zug steige. Ich gehe zu Fuss durch die Nebenstrassen des Pod. Ist das schräg. So lange her.

Ich überquere an der Raiffeisen Bank die Strasse und gehe langsam um die Ecke auf den Place de la Carmagnole. Der Platz eröffnet sich mir. Es ist wie jedes Jahr: ein gemütliches, reges, friedliches Treiben auf dem Platz. Für einen Moment fühle ich mich fremd.

Den ersten Blickkontakt habe ich mit einer eloquenten Dame mit schwarzer Designerbrille. Ich kenne sie vom Sehen von hier aus der materiotek. Ich habe sie oft hier gesehen. Ich gehe langsam auf sie zu und grüsse sie an ihrem Verkaufsstand: «Salut». Sie weiss mich in diesem Moment nicht ganz einzuordnen, wie mir scheint. Ich fasse mich kurz: «Ich komme gerade von Bern hierher und es ist für mich das erste Mal seit meinem Umzug vor eineinhalb Jahren, wieder hier zu sein und das berührt mich gerade sehr.» Ich kann mir die Tränchen, die sich anmelden, verdrücken.

Ich steige achtsam die paar Stufen zum Laden hinauf, auf den Quai, vorbei an den unzähligen Kartons, die – wie immer – fein säuberlich aufgreiht sind. Mit all diesen Schätzen von Spitzenbändern, Knöpfen, Wollknäuel, Gürtelschnallen aus den 40er bis 80er Jahren, Schachteln mit Nähseide der Familie Cartier-Bresson aus Paris aus den 1920ern.

Ich schreite durch die weit geöffneten Flügel der Eingangstür. Ich stehe am Zuschneidetisch in der Mitte des Ladens. Nathalie ist noch in einem Gespräch, sie hat mich noch nicht gesehen. Ich halte inne, ich atme durch, schaue mich um. Ich fasse es nicht, ich stehe wahrhaftig in der materiotek in La Chaux-de-Fonds. Alle Erinnerungen sind mit einem Schlag da – Alles, was ich mit diesem Ort von Herzen verbinde. Hier habe ich einen so wichtigen und prägenden Teil meines Lebens verbracht.

By the way: Ich war eineinhalb Jahre mit meinem Label «dickoepfig» Mit-Mieterin der Boutique und des Nähateliers im Souterrain und habe elf Jahre insgesamt in La Chaux-de-Fonds gearbeitet und gelebt.

Nathalie sieht mich: «Hey, ich hab’s gespürt, dass du kommst.» – Zack – ich bin zu Hause. Ich falle ihr weinend in die Arme. «Mein Gott, so lange Zeit. Du bist da. Ist das toll.» Wir sehen uns an, küssen uns, umarmen uns, sind ganz da. Puh, ich hab’s geschafft, hierher zu kommen. Ich depononiere mal meine Sachen.

Ich schaue mich um. Ich sehe Catherine Corthesy am grossen Spiegel gegenüber. Wie schön, sie ist auch da. Mein Blick schweift von drinnen durch das Schaufenster auf den Platz und ich entdecke meine wunderbare Freundin Daniele Crelier, sie hat hier heute auch einen Stand. Mein Herz hüpft.

Ich gehe erstmal ins Untergeschoss und schlendere durch die nach dem Wasserschaden neu renovierte Boutique. So schön sieht es hier aus. Und – ach Gott – meine Sachen sind alle so schön in Szene gesetzt. Einige meiner dickoepfig-Kreationen hatte ich schon vergessen. Cicilia kommt die Treppe hinunter, sie sieht mich, «hey, wie geht es dir?» Sie ist so herzlich und klärt mich auf, dass sie heute die Boutique für Coralya betreut, da die (leider) noch im Urlaub sei. Wir plaudern ein wenig. Ich deute bereits an, dass ich lange Zeit krank war.

Später wage ich eine kleine Tour über den Platz. Ich besuche Carine an ihrem Stand – ich liebe ihre kleinen Kunstwerke ihrer «la cabinetterie». Ein Windstoss schmeisst zwischendurch – wie jedes Jahr – die schön drappierten Ausstellungsstücke auf dem Tisch um – «Ach, dann lege ich sie hin. Dann können sie nicht umfallen», sagt sie und strahlt mich an. Dieser einfache und unkomplizierte Umgang mit dem, was ist – ich habe es immer geliebt und werde in diesem Moment so liebevoll daran erinnert.
Ich entdecke Ketten, die sie umgestaltet hat. Eine lange Perlenkette hat unten in der Mitte als Anhänger eine kleine Trillerpfeife. Sie erzählt mir von einer Zeit, in der Frauen sie trugen, wenn sie im Dunkeln alleine unterwegs waren, sie pfiffen und dann andere Frauen herbei eilten. Ich finde die Tatsache ziemlich gruselig. Doch Carine betont ihre Faszination für die Solidarität dieser Frauen ungtereinander und ich sehe, dass für sie das Positive überwiegt. Frieden. Ich ziehe weiter. «A tout à l’heure…»

Bei Daniele angekommen, ergreift mich die zweite Emo-Welle. Wir liegen uns in den Armen. Ich höre nur «Ma belle, ma belle, quel plaisir de te voir». Ich heule in ihren Armen wie ein kleines Mädchen.

Dann tauchen Sabine und Beat auf, oh mein Gott, wie gut sich das anfühlt, hier zu sein.

Ich lausche den typisch gemächlichen Gesprächen an den Ständen, so mild und direkt zugleich. Man kennt sich. Man kennt die Geschichten der anderen und knüpft an. Zuhause-Gefühl. Man achtet aufeinander. Man bekommt einander mit. Ich fühle mich wohler und wohler. Ich fühle mich aufgehoben, mit Allem, was gerade ist. Es fühlt sich an, als wäre ich nie weg gewesen.

Zwischendurch setze ich mich im Laden immer wieder mal an den gelben Holztisch. Atmen. Geniessen.

Nathalie rauscht hinein «Poah, ich hab Hunger, ich muss was essen». Sie holt Geld und rauscht im selben Tempo wieder raus, Treppe runter, über den Platz nach gegenüber ins Restaurant Numéro 9. Ich folge ihr geschwind, ich kann auch was vertragen. Pascal empfängt uns – locker, flockig, wie immer. Wir bestellen. «Wir bringen’s Euch rüber, pas de souci.» Wir essen gemeinsam zu Mittag und haben es gut.

Am späten Nachmittag habe ich das Gefühl, das mit der Verabredung am Abend wird zu viel. Erschöpfung überkommt mich. Das ist neu. Früher war ich den ganzen Tag unterwegs wie eine Rakete. Seit meinem Burnout vor einem Jahr, aus dem ich aktuell wieder langsam herauskrabble, hat sich Einiges geändert. Cecilia kommt in diesem Moment von unten die Treppe hoch. «Ich sitze da unten alleine, du sitzt hier alleine, da hab ich mir gedacht, ich komme mal hoch zu dir.» Wir sitzen am Tisch. Die Stimmung ist friedlich, harmonisch. «Was für ne Zeit», sage ich und fange wieder an zu weinen. Es fliesst einfach, es fühlt sich gut an. Es bewegt sich viel in mir. Cecilia fragt, ob ich eine Umarmung mag. Ich nehme an, wir stehen auf und treffen uns an der Kopfseite des Tisches. Ich darf in ihre weichen Arme sinken. Mein Gott, ist das schön. Wie selbstverständlich und vertraut. Wir tauschen uns aus und ich stelle wieder einmal mehr fest, dass ich mit so vielen Herausforderungen nicht alleine bin.

«Ich hab Lust auf ein Eis.» sagt Cecilia. «Du auch? Das Eis beim Chocolatier Christophe ist einfach nur göttlich.» – Nathalie nimmt auch eins, sie lädt uns alle drei ein. Cecilia und ich wackeln los. … Blöd, Christophes Laden ist schon geschlossen. Egal, wir finden unser Glück bei Terrame auf dem Marktplatz.

Zurück in der materiotek schlecken wir drei unser Eis. Kundinnen schlendern immer wieder gemütlich durch den Laden, staunen, zwischendurch mal eine Frage, Nathalie antwortet, es wird geplaudert und auch mal debattiert. Eins geht ins Andere über.

Als Daniele dazukommt, ergänze ich, was ich in dieser meiner Lebenskrise alles so durch- und er-lebe. Nathalie und Daniell erzählen aus ihrem Leben nahezu eins zu eins die gleichen Erlebnisse und Empfindungen. Ich schnall ab. Nathalie sagt irgendwann «Krass, dass du mit dieser Stimmung rausgehst und hergekommen bist. Andere bleiben da zu Hause.» Ich poche beherrscht mit der Faust auf den Tisch: «Und ich will mich nicht mehr verstecken. Nein, ich werde mich nicht mehr verstecken. Hab ich keinen Bock mehr drauf.»

Ich hab inzwischen wieder mehr Energie. Was diese Gespräche ausmachen – ich sag euch, das ist besser als jeder Besuch beim Psychologen.

«Da ist Florence Jaquet draussen auf dem Quai, hast du gesehen?» sagt Nathalie. Ich quietsche innerlich. Ich kenne Florence schon lange. Wir haben über die Jahre immer mal wieder an verschiedenen Projekten zusammen gearbeitet. Es war mir dabei immer ein grosses Vergnügen – auf Arbeits- und zwischenmenschlicher Ebene. Und ich liebe ihre Kunst und ihre Kreativität. Ich gehe raus, langsam auf sie zu, mache mich bemerkbar. Wieder entsteht ein vertrauter Austausch und dann «shoppen» wir zusammen und bewundern und entdecken gemeinsam die Schätze in den Kartons. Sie ist auf der Suche nach speziellen Garnen. Sie kennt sich aus. Sie weiss ziemlich genau, was sie sucht. Ach, das mag ich so. Ich führe ihr einen Pullover vor, der es mir schon vor ein paar Stunden angetan hat. Er ist komplett besetzt mit grossen dunkel grünen Pailetten. Es glitzert und blinkt um die Wette. Dann wieder jede für sich.

Als dann alle gerade wieder beschäftigt sind, lasse ich mich zu einer Knopf-Inspirations-Odyssee hinreissen. Ich glaube, zum ersten Mal hab ich wirklich Zeit, mich mal so richtig in die Knopfsuche plumsen zu lassen. Ich mache mich an die Schachteln auf dem Sideboard. Im selbstkonstruierten Pappregal, das fast eine gesamte Laden-Wand kleidet, geht das Staunen weiter. Ich sehe Knöpfe, die ich bereits kenne und schon immer toll fand. Genauso die, die schon immer geschmacklos oder hässlich waren. Ich entdecke neue Knöpfe, antike und moderne. Man kann sich gar nicht entscheiden. Oh, die sehen toll aus, damit könnte man was Tolles machen. Eine Stunde vergeht. Inzwischen habe ich meine Favoriten auf dem gelben Tisch ausgebreitet. Eine der Knopfkarten hat einen Wert von 70 Franken. Ich erfahre später, dies seien die teuersten Knöpfe im ganzen Geschäft. War ja klar.

Ich bin fasziniert von der Anbringung der Knöpfe in Reih und Glied auf der Karte. Die Karte ist leicht vergilbt. Ich bin fasziniert vom gesamten Design, der Typografie, von der Art des Drucks, von der Art, wie einst produziert wurde und wie «Industrielles» aussah. Die Knöpfe sind kugelförmig, haben einen Durchmesser von knapp einem Zentimeter und sind bezogen mit einem feinen von Hand erstellten Geflecht in gebrochenem Weiss. So edel, so niedlich. Jede Kugel sieht ein bisschen anders aus. Und doch ist es eine so präzise handwerkliche Arbeit. Mir geht das Herz auf.

Ein paar moderne Exemplare sind auch dabei. Es sind hauchdünne in Form gepresste kreisrunde, aussen leicht nach oben gewölbte Plastikknöpfe in abgefahrenen Blautönen. Wieder auf so geilen Papier-Karten. Ich könnte diese Dinger auch so an die Wand hängen und hätte meine Freude an diesen Objekten an sich.

«Ach Nathalie, ich liebe deinen Laden einfach, es ist einfach nur schön hier» stöhne ich. «Und nicht nur wegen mir ist das so schön hier, Yvonne. Für mich ist dieser Laden immer noch der Laden von Nathalie, Coralya und Yvonne.» – Scheisse Mann, ja, genau so fühlt es sich an.

Irgendwann später – Florence hat sich inzwischen verabschiedet – steht Nathalie wieder vor mir und hält den grünen Glitzerpulli hoch. «Gefällt der dir?» Ich zögere, weil ich nicht weiss, was sie mir damit sagen will. «Würdest du den tragen?» «Ja, ich würde ihn tragen.» «Dann ist es deiner. Florence offeriert ihn dir.» So süss, ich glaub’ es kaum.

Der Markt, die Wachheit, der Tag neigt sich in zartem Rosa dem Ende entgegen. Die ersten Marktleute packen ein. Ich stehe am Stand von Daniele, deren Begleitung ebenfalls das Ende einläutet. Aber so richtig kann Daniele sich noch nicht von diesem Tag lösen. Ich helfe mit, die bunt gemustert und gefärbten Tücher und Taschen zu falten und zu stapeln. Tücher, die sie regelmässig mit in die Schweiz bringt, um ihr Herzens-Hilfsprojekt in Mauretanien zu unterstützen. «Ich werde noch EINEN Schal verkaufen» verkündet sie verheissungsvoll und lacht. Ich kenne dieses Lachen. Es hat so etwas Verschmitztes, Freches, Dreckiges, Ironisches, Entschlossenes und Gleichgültiges zugleich. I love it. Für mich ist sie eine Person, die weiss, wie Leben geht. Ich bewundere diese Frau. (Und ich glaube, sie bewundert mich auch. Voll gut.)

Auf den letzten Drücker entdecke ich ihre Vintage-Regenschirme. Oh nein, wieso sehe ich die denn jetzt erst? Ich öffne einen – wie geil ist das denn? Ana Göldin stösst dazu. «Den nimmst du, oder? Den musst du nehmen!» Wir öffnen einen Schirm nach dem anderen. Einer spannender als der andere. Mehr Vintage geht nicht. Wir ergötzen uns zu dritt an diesen kleinen und grossen Designwundern und auch wundersamen Exemplaren. Ich kaufe den ersten – 10 Franken. Daniele ist happy, hat sie zwar kein Tuch verkauft, dafür einen Schirm. Check.

Nathalie und ich sind die letzten. Wir haben alles fein säuberlich in den Laden gestapelt und feiern uns. Irgendwann verabschieden wir uns. Ich gehe Richtung ABC.

Und was liegt auf diesem Weg? Das Vostok. Von Weitem erkenne ich bekannte Gesichter. … Es hört einfach nicht auf.

Na gut, wenn ich schon mal da bin, klingle ich jetzt noch bei Roman. Kann ja nicht sein, mich nicht blicken zu lassen, wenn ich nach so langer Zeit schon mal hier bin. Er kommt runter. So schön, ihn vor mir zu haben, zu sehen, zu erleben und im Austausch festzustellen, es fühlt sich so unangestrengt und normal an. Ich kann es nicht lassen, auch ihm noch eine Präsentation meiner 3D-Collage aufzudrängen, die ich von Bern mitgeschleppt hab. Muss sein.

So, jetzt dann aber hoch ins ABC. Tschüss, danke, bis bald. Wir hören uns.
(Zeitraffer-Beschrieb)

Gemach schlendere ich die Rue du Stand hinauf, noch 100 Meter. Heute findet ein Open-Air-Kino-Abend auf der Terrasse vom ABC statt. Ich nähere mich. Ah, da sind die zwei. Die Begrüssung ist liebevoll, herzlich, warm, ruhig. Sohn und Enkel wuseln auch herum. Ebenso ein Junge, der sich neben J.-Claude eingerichtet hat, von dem niemand weiss, zu wem er gehört. Er fühlt sich hier wohl. Alle sind zufrieden. Nichts wird in Frage gestellt.

Ich hole mir einen Stuhl und setze mich in diese familiäre Runde am Mäuerchen am Fenster (bester Platz!). Ich schaue in die Runde auf die Terrasse und hab einfach nur Freude – alle da, wie immer. Die Jungen wie die Alten. Die Konservativeren sowie die bunten Vögel. Alle vereint.

Beatrice huscht vorbei: «Hey, schön, dich zu sehen. Raphaël ist auch da, wir sitzen da drüben.»

Ich hab Hunger und gehe kurz rein, um mir etwas zu bestellen. Alles wie eh und je – unaufgeregt. Ein paar Leute an der Bar, die auch etwas bestellen wollen. Viel los heute. Das Tempo hat hier rasant Fahrt aufgenommen, wie ich aus dem Nichts feststelle – Anne-Liese hext mit ihren sechs Händen und fünf Beinen gleichzeitig zwischen A, B, C bis Z hin und her. Dabei immer den Kopf beisammen. Jonglage vom Feinsten. Am Zapfhahn hat sie, während das Comète ins Glas gleitet, Zeit, kurz aufzuschauen – «Salut Yvonne» – feuert sie mich an mit ihrer rauen, zackigen Art. Sie registriert und behandelt mich, als sei ich täglich hier, als sei es das Normalste der Welt. Wie krass ist das, bitte?

Wieder draussen, ein Blick auf die Terrasse, Selima strahlt mich von Weitem an. Sie eröffnet diesen Kino-Abend. Tja, mein Französisch ist zwar wirklich nicht schlecht, aber bei Frontal-Info komme ich dann doch nicht ganz mit. Ich sehe Anne-Liese mit einem Teller Pommes Frites durch die Gegend hasten – das muss meiner sein. «Yvonne, Yvonne, elle est où ?» Sie dreht sich um, ich nehme den Teller entgegen – danke und gehe wieder zu meinem Stuhl. Wir mümmeln und lauschen Selima. Ich bin entzückt von ihr, sie ist faszinierend. Ich kenne sie nicht gut, und ich sah in ihr schon immer eine starke, konzentrierte, achtsame, sinnliche, aufmerksame, taffe junge Frau.

Jürg stösst zu uns. Der Teller Pommes wandert auch zu ihm, ein weiterer Teller wird bestellt. Oh Mann, ist das gut. Ich will mir drinnen noch eine Cola holen. Noch mal warten an der Bar. Drei Leute weiter steht Laetitia. Seit ich weiss, dass sie auf einem Containerschiff eine grosse Reise gemacht, finde ich sie noch spannender. Wer macht schon seinen Reiseweg auf einem Containerschiff? Geil! Wir grüssen uns, gehen aufeinander zu. «Hast du dein Zelt auf dem Rücken dabei?» «Nein, das ist mein Stuhl, der ist bequem und ich kann sitzen, wo ich mag.» Ja, so geht Unabhängigkeit und Teilnahme zugleich, denke ich mir. Sie lädt mich zu meiner Cola ein. Wir gehen gemeinsam raus, sie klappt ihren Stuhl wie selbstverständlich neben mir auf. Der erste Kurzfilm des Abends beginnt. Ich verstehe nicht alles. Egal, es ist schön hier. Wir bleiben noch ein bisschen.

Der zweite Film ist für mich viel verständlicher. Eine junge Frau ist so ausdrucksstark, da ist Vieles offen-sichtlich.

Es wird kalt. Als der dritte von vier Filmen beginnt, springe ich auf, «ok, lass uns nach Hause fahren, ist ein guter Zeitpunkt.» Wir verabschieden uns in die kleine Runde. Ich schlängle mich noch durch die Stühle auf der Terrasse, ich möchte Raphaël auch tschüss sagen. Wir strahlen uns an und sagen bis bald.

Das Auto steht in der Rue du Soleil, vor dem Haus, wo ich sieben Jahre gewohnt habe. Ein Blick auf das Haus, ich nehme noch einmal Abschied.

Und ich weiss, ich komme wieder.
Bald!